Thema Klimaschutz bei österreichischen Parteien im Vergleich

Klimapolitik ist zu einem wichtigen Thema im Wahlkampf geworden. Bewegungen wie
Fridays For Future zeigen, dass die jungen Menschen um ihre Zukunft besorgt sind und ernsthafte Maßnahmen fordern. Für die interessierte Öffentlichkeit ist es jedoch schwer, die unterschiedlichen Vorschläge der Parteien zum Klimawandel zu vergleichen. Diese sind sprachlich und strukturell sehr unterschiedlich gefasst und verstreut in Wahlprogrammen und Medienauftritten. Das Climate Change Centre Austria (CCCA) hat deshalb die Parteien gebeten, ihre Klimawandel Vorschläge in einem einheitlichen Schema darzulegen und hat die Antworten und Programme in Hinblick darauf durchleuchtet und bewertet, wie sehr sie mit dem kürzlich veröffentlichten Referenz-Energie und Klimaplan der Wissenschaft im Einklang stehen.

Das Thema Klimawandel soll nicht zum Auseinanderdriften der Gesellschaft führen, wie derzeit in den USA, sondern alle Kräfte guten Willens aus allen Parteien ohne hinderliche Polarisierung auf dem Pariser Klimazielweg vereinen. Es geht somit um gemeinsame Lösungen – in Österreich und weltweit. Österreich hat auf Basis seiner Tradition der Kooperation über politische Parteien hinweg immer wieder intelligente, ausgewogene und praktische Lösungen für große Probleme gefunden. Wir sind jetzt gefordert, das trotz der deutlichen Unterschiede in Parteipositionen wieder zu tun, denn wirksame Klimapolitik erfordert politische Zusammenarbeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wenn die besten Ideen aus den Wahlprogrammen im Austausch mit der Bevölkerung zu einer ambitionierten, fairen und ernsthaften Klimapolitik zusammengeführt werden, befindet sich Österreich auf dem richtigen Weg – einem sozial-, wirtschafts- und umweltgerechten Pariser Klimazielweg.

Wie kann in Österreich der Übergang zu einer nahezu treibhausgas-emissionsfreien und klimarobusten
Wirtschaft und Gesellschaft bis 2050 im Einklang mit den Pariser Klimazielen gelingen?

Wie sehr stehen Parteipositionen der sechs Parteien (FPÖ, GRÜNE, JETZT, NEOS, ÖVP, SPÖ) im Einklang mit den laut Ref-NEKP der Wissenschaft für den Pariser Klimazielweg in Österreich entscheidenden Rahmenmaßnahmen und Rahmenzielsetzungen sowie sektorspezifischen Maßnahmenbündeln? Das Ergebnis:

Wie sehr stehen die Wahlprogramme der österreichischen Parteien im Einklang zum Einklang mit dem Übereinkommen von Paris? (Bild CCCA)
Bild CCCA

Nach diesen Maßnahmen wurden die Parteien befragt

  • Klimagerechte Steuerreform
  • Hocheffiziente Energiedienstleistungen
  • Umbau zur Kreislaufwirtschaft
  • Klimazielfördernde Digitalisierung
  • Klimaschutzorientierte Raumplanung
  • Adäquater Ausbau erneuerbarer Energien
  • Naturverträgliche Kohlenstoffspeicherung
  • Wegweisende Pariser Klimazielorientierung
  • Bildung und Forschung zu Klima und Transformation
  • Energie & Industrie
  • Verkehr
  • Gebäude
  • Land- & Forstwirtschaft
  • Bioökonomie
  • Stofffluss- & Abfallwirtschaft

Klimagerechte Steuerreform

Eine sozial-, wirtschafts- und umweltgerechte Steuerreform, auch sozial-ökologische oder ökosoziale Steuerreform genannt, die Kostenwahrheit annähert (CO2-Preis, Abbau
fossiler Subventionen, Anreiz klimafreundlicher Innovationen) und mit Blick auf breite Akzeptanz zugleich Entlastung für Menschen mit niedrigem Einkommen sowie für Nebenkosten auf Arbeit sicherstellt.

Hocheffiziente Energiedienstleistungen

Technologievernetzungen zur optimalen Entwicklung hocheffizienter Energiedienstleistungen über alle Sektorgrenzen hinweg (Energie & Industrie, Verkehr, Gebäude, Land- & Forstwirtschaft, usw.) und für alle
Konsum-bedürfnisse, sodass der Primärenergiebedarf für jede Art Bedarfsabdeckung einschließlich für Mobilität grundlegend reduziert wird und fossile Energieträger vollständig durch Erneuerbare ersetzbar werden, ohne die nötige systemische Robustheit (Resilienz) außer Acht zu lassen.

Umbau zur Kreislaufwirtschaft

Ein übergreifender wirtschaftspolitischer Fokus auf Umbau hin zu einer Kreislaufwirtschaft, um primäre Materialund Energieinputs tiefgreifend und dauerhaft zu reduzieren, die Lebensdauer materieller Güter zu erhöhen und die Abfallmengen zu minimieren

Klimazielfördernde Digitalisierung

Eine alle digitalen Systeme umfassende, zielgerichtete Nutzung und Förderung der Möglichkeiten der
Digitalisierung („Industrie 4.0“), konsequent im Einklang mit und im Dienst einer klima- und umweltgerechten Lebens- und Produktionsweise (neuer Kernbereich „Umweltschutz 4.0“), sodass Digitalisierung (Internet der Dinge, Smart Grids, Automatisierung, usw.) Ressourcenbedürfnisse
wirklich tiefgreifend senken hilft

Klimaschutzorientierte Raumplanung

Eine klar klimaschutzorientierte Energie- und Mobilitäts-Raumplanung, mit Schwerpunkt auf urbane und
regionale Kernräume nach den Grundsätzen von Funktionsmischung, maßvoller Dichte und Innenentwicklung, die kurze Wege schafft und den Energie- und Mobilitätsbedarf strukturell verringert

Adäquater Ausbau erneuerbarer Energien

Am Gesamtsystem orientierter und gezielt am Energiedienstleistungsbedarf ausgerichteter rascher Ausbau der Produktionskapazitäten für Elektrizität und Fernwärme und -kälte aus erneuerbaren Energiequellen (Sonne, Wind, Wasser und Biomasse) sowie der jeweilig notwendigen Energie-, Anergie- und
Informations-Netze und Speicher, und abgestimmt mit der Optimierung der Effizienz von Energiedienstleistungen und den Erfordernissen des Umweltund Naturschutzes, sowie der Resilienz.

Naturverträgliche Kohlenstoffspeicherung

Eine gezielt auf Basis zunehmend biologisch-regenerativ orientierter Land- und Forstwirtschaft aufgebaute Kohlenstoffspeicherung in Österreichs Böden und Holzbiomasse durch Einschränkung der Bodenversiegelung und durch Humusaufbau sowie mittels Energiewaldwirtschaft und Holznutzung, um mit nachhaltiger Landnutzung das Nötige zur Klimaneutralität beizutragen

Wegweisende Pariser Klimazielorientierung

Sektor- und ebenenübergreifende Ausrichtung aller Entscheidungen, Verordnungen und Gesetze am Pariser Klimaziel, u.a. durch Schulung der EntscheidungsträgerInnen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Unterstützung der überparteilichen, internationalen Pariser Klimazielbewegung aus zivilgesellschaftlichen, institutionellen und Politik-gestaltenden AkteurInnen (aus NGOs, Graswurzelbewegungen wie Fridays For Future, Sozialpartnern, Unternehmen, Universitäten, Institutionen der EU, Medien, politischen Parteien, u.v.m.), die wegweisend, bahnbrechend und wegbegleitend das Mitgehen Österreichs am Pariser Klimazielweg sicherstellt.

Bildung und Forschung zu Klima und Transformation

Verankerung des Themas Klimawandel und Transformation im Rahmen systemischer Ansätze
als wesentlichen Teil aller Bildungs- und Ausbildungswege, von Kindergärten bis Universitäten, in Verbindung mit einer grundlegenden Umorientierung der Bildung hin zu motivationsbasiertem, individuell- förderndem, kreativitätsförderndem, problem- und projektorientiertem sowie fächerübergreifendem Unterrichten und Lernen; in Universitäten, Forschungseinrichtungen und
Unternehmen gleichzeitig Stärkung öffentlicher Investitionen für Forschung, Entwicklung und Innovation zu diesem Thema, auch um nichtnutzerinteressensgeleitete Forschung im notwendigen Ausmaß zu
gewährleisten.

Energie & Industrie

Reduktion des Energiebedarfes, Steigerung der Energieeffizienz und adäquater Ausbau erneuerbarer Energien; Investitionen in dezentrale, intelligente Stromnetze und Speicher, sowie in der Industrie ein Fokus auf bedarfsorientierte, langlebige und reparierbare Qualitätsprodukte ohne geplante Obsoleszenz,
Kreislaufwirtschaft, klimazielfördende Digitalisierung und effiziente sektorübergreifende Lösungen („Sektorkopplung“). Ziel ist eine starke Verringerung des Energie- und des Ressourcenverbrauchs
und ein entsprechend starker Abbau von Emissionen, der wegen des geringeren Verbrauchs auch kostensenkend wirkt.

Verkehr

Eine Aufwertung der aktiven Mobilität (Radfahren, Gehen) und des öffentlichen Verkehrs, Einführung von MobilitätsLenkungsabgaben (zzgl. zu einem CO2-Preis) und/oder einer Verringerung der Höchstgeschwindigkeit (insbes. auf Autobahnen als eine effektive und vergleichsweise rasch umsetzbare Maßnahme). Weiters Maßnahmen, die sicherstellen, dass fossile Antriebe zeitgerecht auslaufen (z.B. keine Neuzulassung von fossil betriebenen Personen-Kfz einschließlich Zweirädern ab 2030) und dass klimazielfördernde Digitalisierung und Automatisierung sowie Mobilitäts-Raumplanung eine nahezu emissionsfreie und für alle leistbare Mobilität unterstützen.

Gebäude

Beurteilung von Gebäuden nicht nur individuell, sondern auch im Verbund in Quartieren und Arealen; Priorität von Sanierung vor Neubau in allen Genehmigungen, Förderungen, etc.; Nutzung
klimafreundlicher Materialien und Bauweisen und Verankerung dieser in Richtlinien und Gesetzen; lokale Strom- und Wärmenetze (insbesondere für Abwärme) und Produktion, Verteilung, und
Speicherung in „Energy Hubs“. Programme und Förderungen für nachhaltige Gebäude zielen auf integrierte Sanierung und klare Vorschriften für klimagerechte Standards in Neubau und Sanierung
ab (z.B. klimagerecht Bau- und Dämmmaterialien, Raum und bodenschonende Bauweisen, Passivhaus-Standard, PlusenergieGebäude) sowie auf Integration der Gebäude in lokale Heiz- und Kühlsysteme (Energie-erzeugung, -speicherung, -kreislaufführung, und thermische Qualität). Weiters profitieren von
klimaschutzorientierter Raumplanung, die Wohnen, Arbeiten und Mobilität im Sinn einer Funktionsmischung näher zusammenführt, Städte und ländliche Räume.

Land- & Forstwirtschaft

Zunehmend flächendeckender Ausbau von klimafreundlichen und klimawandelrobusten
Bewirtschaftungsformen, insbesondere Biolandbau; starke Reduktion des Stickstoffmineraldünger-Einsatzes und Tierbestandes (wegen deutlicher Verringerung des Fleischkonsums); achhaltigkeitsorientierte
Präzisionslandwirtschaft; Aufbau von Bodenhumus und Holzbiomasse für Kohlenstoffspeicherung und Bioökonomie; Unterstützung nachhaltiger Ernährungsweisen (weniger Fleischkonsum, für alle leistbare biologische Lebensmittel). Der Erhalt und die Erhöhung von naturverträglicher Kohlenstoffspeicherung in Böden und Wäldern, mit Rücksicht auf Biodiversität, ist dabei eine übergreifende Priorität;

Bioökonomie

Forcierter Aufbau einer kreislauforientierten, nachhaltigkeitsorientierten Bioökonomie (auch im
sozioökonomischen Bereich), unter sorgfältiger Berücksichtigung von Zielkonflikten mit Nahrungsmittelerzeugung (z.B. Flächenbedarf) und Umwelt (z.B. Biodiversität), vor allem durch
kaskadische Nutzung (Holzbau, Ersatz fossiler Rohstoffe in der Produktion). Es soll zu Emissionsabbau und zu Kohlenstoffspeicherung ein wichtiger Beitrag geleistet werden.

Stofffluss- & Abfallwirtschaft

Wweiterer Ausbau des Fokus auf stofflicher Verwertung und Abfallvermeidung im Sinn
kreislaufwirtschaftlicher Konzepte (z.B. „Design for Maintenance / Re-use / Re-furbishment / Re-cycling / Re-selling“). Ebenso ist es wichtig, die Klimaschutz-Potenziale für Emissionsverringerung und Emissionsvermeidung in der Abfallbehandlung (z.B. Deponienachsorge, Abfallverbrennung) optimal auszuschöpfen.

Über die Bewertung der Parteienpositionen vor der kommenden Wahl

Die Analyse soll laut CCCA vor allem als Hilfestellung für alle Interessierten gedacht, die eine möglichst objektive Orientierung schätzen, in welchem Ausmaß die Partei-Wahlprogramme derzeit ernsthaft einen Pariser Klimazielweg Österreichs politisch unterstützen.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Ergebnisse trotz unseres Bemühens um
Objektivität und Sorgfalt eine teilweise subjektive Gesamteinschätzung sind und daher aus wissenschaftlicher Sicht keinesfalls als Wahlempfehlungen aufzufassen sind. Sie sind vielmehr eine Bestandsaufnahme zu Parteipositionen zur Klimapolitik, die als solche ein stark differenziertes Bild zeigen, vor allem hinsichtlich der ernsthaften Ambition beim Klimaschutz. Wir wissen aber gleichzeitig, dass es in allen Parteien Menschen gibt, denen das Klimathema und wirksame politische Maßnahmen ein großes Anliegen sind.

Gottfried Kirchengast

Der Vergleich zeigt, dass es unter den österreichischen Parteien richtige Klimaschutzprofis gibt und einige ihre Programme zuletzt noch deutlich verbessert haben. Es liegen Vorschläge für ein ehrgeiziges und schlüssiges Konzept für zukunftsfähiges Wirtschaften ohne Fossilenergie am Tisch. Die Herausforderung wird sein im politischen Tun nicht auf die Unterschiede zu fokussieren, sondern gemeinsame Vorhaben zu ermöglichen und dringend notwendige Änderungen in ausreichendem Umfang und rasch anzugehen.

Die Klimaökomin der WU Wien Sigrid Stagl betont die steigende Klimakompetenz in einigen Parteien und das Ausmerzen von „blinden Flecken“

Wir wollen in Österreich wohl alle für unsere Kinder einen lebenswerten Planeten erhalten – insofern ist das Ziel wohl unbestritten. Um dieses Ziel wirklich zu erreichen braucht es zuallererst ein Umdenken im Kopf und die ehrliche gemeinsame Suche, wie wir höhere Lebensqualität klimafreundlich erreichen können. Politik, Wissenschaft und die Menschen in unserem Land – der auf Basis einer aufrichtigen Bestandsaufnahme mögliche Dialog hat großes Potenzial, diese bessere Zukunft Wirklichkeit werden zu lassen.

Karl Steininger vom Wegener Center der Uni Graz hebt besonders das weitere Entwicklungspotenzial der Parteien für eine integrierte Umwelt- und Wirtschaftspolitik hervor.

Das Klimathema wird nicht verschwinden, es wird uns über Jahrzehnte weiterhin begleiten. Die Klimakrise erfordert politische Zusammenarbeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt – trotz der Unterschiede in den Wahlprogrammen. Es entspricht guter österreichischer Tradition über politische Parteien hinweg zu kooperieren. Dies ist jetzt wieder besonders gefordert.

Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb

Das Projekt wurde auf Initiative und unter der Leitung des Vertreters der Wissenschaft im Nationalen
Klimaschutzkomitee (NKK) Gottfried Kirchengast (Uni Graz, ÖAW) gemeinsam mit Helga Kromp-Kolb (BOKU), Sigrid Stagl (WU) und Karl Steininger (Uni Graz) vom Ref-NEKP Steering Committee durchgeführt und fachlich von WissenschaftlerInnen aus dem CCCA Netzwerk unterstützt. Die Bewertung wurde sorgfältig auf Basis einer „Structured Expert Assessment“ Methode durchgeführt, bei
der sich die Endbewertungen aus Median-Ergebnissen und gewichteten individuellen und unabhängigen
Bewertungen von acht Mitgliedern eines ExpertIinnenkonsortiums ergaben.

Quelle: CCCA


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